Gefährliche Viren: BSL-4-Hochsicherheitslabor ein Forschungsturbo

BSL4-Labor in Marburg BSL4-Labor in Marburg

Vorbereitet sein: SARS-CoV-2 zeigt, wie wichtig das ist. Das BSL-4-Labor der Universität Marburg hat sich in der Pandemie bewährt und wichtige Erkenntnisse für die Zukunft gewonnen.

Als das Corona-Virus 2020 die bis dahin unbekannte Krankheit COVID-19 über die Welt verbreitete, war eine Frage akut: Wie gefährlich ist das neue Virus SARS-CoV-2? Anfangs vermochte das niemand zu beurteilen. In so einer medizinischen Notlage zählen in der Forschung Schnelligkeit und Sicherheit. Darum rückte eine in Deutschland einmalige Einrichtung in den Fokus der pandemischen Forschung: das BSL-4 Labor des Instituts für Virologie an der Universität Marburg.

BSL-4-Labor in Marburg ist als Einrichtung einer Universität besonders flexibel und schnell

In Deutschland gibt es nur 4 Labore der höchsten Sicherheitsstufe. Drei von ihnen sind an Forschungsanstalten des Bundes angeschlossen. Lediglich das Labor in Marburg gehört zu einer Universität und ist darum besonders flexibel, wenn es darum geht, rasch seine Arbeitsschwerpunkte zu verlagern. Wegen seiner Nähe zum größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main hat es zudem einen Standortvorteil: Gelangen bislang unbekannte Erreger nach Deutschland, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier einen besonders schnellen Zugang.

Vor allem aber verfügt das BSL-4-Labor in Marburg über eine herausragende Expertise im Umgang mit neuen viralen Krankheitserregern. Sie reicht zurück bis ins Jahr 1967 als ein damals unbekannter Auslöser in Marburg, Frankfurt am Main und Belgrad mehrere Todesfälle verursachte. Das Virus, das heute unter den gefährlichsten der Welt eingestuft ist, war von infizierten Tieren, die in diese drei Städte geliefert worden waren, auf Menschen übergegangen. Das entdeckten Forschende einige Wochen später. Es erhielt den Namen Marburg-Virus.

In Marburg verfügen die Forschenden über Erfahrungen mit den gefährlichsten Viren weltweit

Seither haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Marburg mit fast allen hochpathogenen – also sehr gefährlichen – Viren beschäftigt, die aus der Tierwelt auf den Menschen überspringen. Darunter mit Ebola, neuerdings mit den Affenpocken und auch mit MERS, einem Corona-Virus, das schwere Atemwegserkrankungen auslöst und 2012 weltweit für Aufsehen sorgte. Seit 2007 besteht das momentane BSL-4-Labor.

Tauchen neue Erreger auf, kann die Arbeit im BSL-4-Labor oft innerhalb von einer Woche beginnen

„Unsere besonderen Voraussetzungen erlauben es uns, oft innerhalb einer Woche mit der Forschungsarbeit zu beginnen, wenn ein unbekannter Erreger auftaucht“, fasst Dr. Markus Eickmann zusammen. Der Virologe leitet das BSL-4-Labor mit Prof. Dr. Stephan Becker und wacht unter andrem darüber, welche Forschungsvorhaben sicher umsetzbar sind. „Wir sind in diesem Labor mit allem ausgestattet, was man benötig, um Diagnosemethoden, Impfstoffe und Therapeutika bis zur Zulassung zu entwickeln“, sagt er.

Forschende mit Schutzananzug bei der Untersuchung einer Probe für einen Corona-Nachweis unter dem Mikroskop im BSL4-Labor der Universität Marburg
Forschende mit Schutzananzug bei der Untersuchung einer Probe für einen Corona-Nachweis unter dem Mikroskop im BSL4-Labor der Universität Marburg ©Anna Schroll für Hessen schafft Wissen

Für die Arbeit im Pandemie Netzwerk Hessen zahlte sich das aus. Dr. Cornelius Rohde vom Institut für Virologie der Uni Marburg berichtet: „Sobald klar war, dass es sich bei dem COVID-19-Erreger um ein Corona-Virus handelt, haben wir mit Studien für wichtige Nachweismethoden, die Neutralisations-Tests, begonnen. Diese Tests fehlten am Markt und wurden dringend benötigt.“ Solche Untersuchungsmethoden braucht man zum Beispiel, um die Immunantwort bei einer Infektion oder nach einer Impfung zu testen und herauszufinden, ob ein Impfstoffkandidat wirkt. Die SARS-CoV-2-Viren für diese Forschungen isolierte das Team aus dem Blut von COVID-19-Patienten, die am Frankfurter Flughafen ankamen.

Nach fast drei Jahren Pandemie warten neue Herausforderungen, etwa weil Resistenzen gegen Medikamente entstehen

Davon ausgehend entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viele Verfahren selbst, die sie unter anderem für Studien zu Impfstoffen nutzten und aktuell für die Erforschung möglicher neuer Therapieansätze. Einige neuere Varianten des Corona-Virus sich bereits recht unempfindlich gegen die ersten COVID-19-Medikamente. Expert:innen rechnen mit weiteren Resistenzen. Die Therapieforschung gegen Covid-19 ist darum weltweit im Gang und wird die Forschenden des Pandemie Netzwerk Hessen weiter beschäftigen. Mehr als 20 Mitarbeitende verfügen über die notwendige Spezialausbildung, um in einem molekularbiologischen Labor der höchsten Sicherheitsstufe zu arbeiten. Maximal 6 Menschen können die Räume gleichzeitig nutzen. Die Arbeit in maximaler Schutzausrüstung, die einem Astronautenanzug gleicht, ist anstrengend. „Zu Hochzeiten hatten wir Schichtbetrieb rund um die Uhr“, sagt Rohde.

Dr. Cornelius Rhode, Wissenschaftler am Institut für Virologie an der Universität Marburg im Gespräch in einem Labor mit weniger strengen Sicherheitsauflagen
Dr. Cornelius Rhode, Wissenschaftler am Institut für Virologie an der Universität Marburg, im Gespräch in einem Labor mit weniger strengen Sicherheitsauflagen ©Jürgen Kneifel für Hessen schafft Wissen

Die 4 Sicherheitsstufen beim Umgang mit Organismen und Zellkulturen in Laboren im Überblick

Die Biostoffverordnung sieht vier Stufen von Sicherheitsmaßnahmen (englisch: biosafety level, kurz BSL) vor, sobald in einem Labor mit Organismen oder Zellkulturen hantiert wird, die eventuell der Gesundheit schaden könnten. Dr. Markus Eickmann fasst zusammen:

  • Bei Organismen oder Zellen, die in S1-Laboren bearbeitet werden, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie – selbst wenn sie genetisch verändert werden – Menschen krank machen. Dazu zählen zum Beispiel die Bäckerhefe oder einige Erreger von Krankheiten, die nur Pflanzen bekommen.
  • Zu den Viren, die in S2-Laboren untersucht werden, gehören unter anderem Masern- oder Herpesviren – Erreger, die Menschen krank machen, gegen die es aber gute Vorbeugemaßnahmen (wie Impfungen) und/oder Therapien gibt.
  • In S3-Laboren forschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an Erregern, die sich nicht so einfach eindämmen lassen, so dass im schlimmsten Fall eine größere Anzahl an Menschen erkrankt, darunter das Dengue-Virus und das gelbfieber-Virus.
  • Maximale S4-Schutzmaßnahmen sind immer dann nötig, wenn es gegen einen hochansteckenden Erreger keine Vorbeugung oder Therapie gibt.

„Zu Beginn der Pandemie haben wir SARS-CoV-2 schon rein vorsorglich in unserem S4-Labor bearbeitet“, berichtet Eickmann. Inzwischen ist dieses Virus offiziell in die S3-Risikogruppe eingestuft. „Wir machen dennoch teilweise unter S4-Bedingungen damit weiter“, berichtet er, „weil wir dabei Methoden und Techniken entwickeln, die uns für kommende Erreger hoffentlich einen Vorteil verschaffen.“

Ziel: Grundprinzipien besser verstehen, die harmlosere Viren von besonders gefährlichen unterscheiden

Das Interesse der Forschenden in Marburg gilt dabei nicht nur dem SARS-CoV-2-Virus. Sie möchten die Grundprinzipien besser verstehen, die harmlosere Viren von den besonders gefährlichen unterscheiden. Warum sind manche Viren ansteckender als andere? Und warum lösen einige Viren Krankheiten aus, an denen viele Menschen sterben, während andere nur eine harmlose Unpässlichkeit bedingen?

Sind solche Fragen der Grundlagenforschung beantwortet, wissen Forschende beim nächsten kritischen Erreger womöglich schneller als bisher, an welchen Virusmolekülen sie ansetzen sollen, um ihn zu bekämpfen. „In der aktuellen Corona-Pandemie hat die Zusammenarbeit mit den Forschungseinrichtungen in Hessen sehr gut funktioniert“, findet Eickmann. „Es ist uns gelungen, die Infrastruktur für die Forschung an Diagnostik, Immunantwort und Zielpunkten für Therapeutika für hochpathogene Viren weiter zu verbessern.“ Eine wichtige Vorbereitung.

Dr. Markus Eickmann: Der Virologe leitet das BSL4-Labor des Instituts für Virologie an der Universität Marburg
Dr. Markus Eickmann: Der Virologe leitet das BSL4-Labor des Instituts für Virologie an der Universität Marburg

 

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