Corona-Abwassermonitoring: Wichtiges Varianten-Frühwarnsystem

SARS-CoV-2-Varianten sind im Abwasser in Kläranlagen nachweisbar. So ein Abwassermonitoring hätte Vorteile.

SARS-CoV-2-Varianten sind im Abwasser nachweisbar. Damit ließe sich die Pandemieentwicklung früher abschätzen als mit den Inzidenzen aus Individualtestungen. Das hätte Vorteile.

Was bringt der Herbst 2022 in puncto Corona? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachten fortlaufend neue Varianten von SARS-CoV-2 . Sie versuchen unter anderem herauszufinden, wo sie sich verbreiten und wie schnell. So hoffen sie, der Politik frühzeitig Hinweise geben zu können, falls beispielsweise eine besonders problematische Corona-Variante in einem Land auftaucht. Schon recht früh in der Pandemie haben sich dafür Abwasseruntersuchungen als nützlich erwiesen.

Abwassermonitoring für Corona-Varianten jetzt im Pilotprojekt-Status

Die Arbeitsgruppe um Dr. Marek Widera am Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikum Frankfurt war von Anfang an bei der Entwicklung solcher Analysen dabei. Inzwischen beschäftigt sich sein Team mit einem abwasserbasierten mehrstufigen Nachweissystem für neue Corona-Varianten. COVIDready heißt das Pilotprojekt, das dahintersteckt. Das Projektteam arbeitet auch mit öffentlichen Gesundheitsdiensten im Untersuchungsgebiet zusammen. Es geht darum, Anforderungen, Bedürfnisse und Erwartungen in Bezug auf eine umsetzbare digitale Meldekette abzustimmen.

„Aktuell werden Vernetzungsseminare mit Wasserverbänden und Gesundheitsämtern durchgeführt und die Einführung des abwasserbasierten Routine-Monitorings fachlich begleitet“, berichtet Widera.

Frühwarnsystem: schnell, zielgerichtet, spezifisch und günstig

Ein in Frankfurt entwickeltes System zum SARS-CoV-2-Variantennachweis könnte die Effizienz der Corona-Überwachung auch aus weiteren Gründen steigern. „Wir haben einen dreistufigen Ablauf entwickelt“, sagt Widera, „der wichtige Kriterien eines guten Frühwarnsystems erfüllt: Er ist schnell, zielgerichtet und spezifisch für unser Überwachungsziel.“ Dieses Ziel besteht darin, neue Corona-Varianten, die in Deutschland auftauchen, sehr früh und sicher zu erkennen – und von da ab zu beobachten, wie schnell oder langsam sie sich ausbreiten. In einer aktuellen Studie, die noch in der Begutachtung ist, wiesen die Forschenden an den Omikron Subvarianten BA.4 und BA.5 in sechs Abwasseranlagen in Nordrhein-Westfalen exemplarisch nach. Dass ihr Vorgehen wie erwartet funktioniert, konnten sie auch bereits im zurückliegenden Winter 2021/2020 bei Auftauchen der Variante BA.1 unter Beweis stellen.

Grundsätzlich hat es einige Vorteile, das Corona-Virus im Abwasser zu untersuchen. Unter anderem lässt sich eine steigende Zahl von Infektionen im Abwasser häufig früher erkennen als über die üblichen individuellen Corona-Tests. Der Grund: Ein Test wird mittlerweile erst dann gemacht, wenn wir den Verdacht haben, an COVID-19 erkrankt zu sein. Dann liegt die Infektion aber schon einige Tage zurück. Wenn wir auf die Toilette gehen oder uns die Zähne putzen scheiden wir Virus-Partikel jedoch vergleichsweise früh nach der Ansteckung aus. Was dabei im Abwasser landet sind jedoch keine ganzen Corona-Viren. Es sind winzige Einzelteile, die sogenannte Virus-RNA, die niemandem mehr gefährlich werden können, denn außerhalb seiner Wirtsorganismen zerfällt der Erreger sehr schnell. Dass keine infektiösen Corona-Viren im Abwasser nachweisbar sind, wurde bereits zu Beginn der Pandemie von den Frankfurter Forschenden nachgewiesen.

Ein weiterer Vorteil des Abwassermonitorings: Diese grundsätzlichen, aber wichtigen Abschätzungen sind relativ kostengünstig zu haben. Es braucht dafür keine Millionen von einzelnen Corona-Tests. Überdies sind die Trends, die das Abwasser anzeigt, auch zuverlässiger als ein Überwachungssystem, das – wie momentan – auf Zahlen freiwilliger individueller Testungen basiert. In der aktuellen Sommer-Corona-Welle von 2022 hat sich das deutlich gezeigt. Tatsächlich waren jeden Tag sehr viel mehr Menschen mit Corona infiziert, als es die offiziellen Inzidenz-Zahlen vermuten ließen. Viele Infizierte machten keinen PCR-Test, sondern beließen es beim Selbsttest. Doch ohne PCR-Test erfolgt keine Erfassung in der Statistik.

Abwassermonitoring ersetzt persönliche Tests nicht, gibt aber Überblick über die Infektionslage

„Das Abwassermonitoring kann die individuelle Testung nicht ersetzen“, stellt Widera klar. Schon allein um abzugrenzen, ob man COVID-19 hat oder vielleicht doch an einem anderen Infekt leidet. „Doch für allgemeine Bewertung der Infektionslage eignet sich die Abwasserüberwachung hervorragend.“

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Eine große wissenschaftliche Herausforderung besteht darin, Testverfahren zu entwickeln, die es mit extrem hoher Genauigkeit ermöglichen, verschiedene Virusvarianten voneinander abzugrenzen. Kommt eine neue – womöglich problematische – Virusvariante in einem Land an, taucht sie zunächst nur ganz vereinzelt im Abwasser auf. Schließlich gibt es anfangs nur einzelne Menschen, die damit infiziert sind. Zwischen der Masse der noch dominierenden, älteren Coronavarianten-Partikel im Schmutzwasser, stellt der neue Erreger eine Minderheit dar, sodass der entsprechende Test extrem empfindlich (sensitiv in der Fachsprache) und noch dazu extrem treffsicher sein muss, um die neuen Varianten auch richtig von den vorausgehenden zu unterschieden.

Dreistufiger Ablaufplan im Abwassermonitoring ermöglicht die genaue Einschätzung

Für jede Variante muss der Test neu angepasst werden. Ein einfaches und universelles Testverfahren haben die Frankfurter Forschenden nun auf die Beine stellen können. Ein dreistufiger Ablauf ermöglicht es, schnell, günstig und genau zu sein. In der ersten Stufe wird in einer großen Anzahl an Kläranlagen zunächst erfasst, ob die gesuchte Corona-Virus-Variante im Abwasser nachweisbar ist. In Stufe zwei lässt sich mit Hilfe der sogenannten digitalen PCR die Anwesenheit der Variante spezifisch bestätigen und die Mengenverhältnisse mehrerer Varianten genau bestimmen und über die Zeit verfolgen. Bei Bedarf lassen sich mit dem sogenannten Next-Generation Sequencing-Verfahren (NGS) die Corona-Varianten anhand eines erweiterten Abbilds des viralen Erbinformation sicher zuordnen.

Die Fäden laufen am Universitätsklinikum Frankfurt zusammen

Die Varianten-spezifische digitale PCR ist eine Methode, die längst nicht jedes Labor anbieten kann. Darum laufen diese Analysen über spezialisierte Einrichtungen – wie die am Universitätsklinikum Frankfurt. „Wegen der Nähe zum Flughafen und der sehr guten Kooperation mit dem Gesundheitsamt gehören wir zu den ersten, die an die Arbeit gehen, wenn neue Varianten bei uns ankommen“, erklärt Widera. „Unsere spezialisierte Laborausstattung, insbesondere das Infektionslabor der Sicherheitsstufe 3, erlaubt es zudem, sehr schnell, die Virusvarianten anzuzüchten und weiterführende Tests zu entwickeln und Analysen vorzunehmen.“

Allerdings läuft das Abwassermonitoring und die Überwachung neuer Corona-Varianten momentan nur in punktuellen Pilotprojekten. Wie in Deutschland momentan die überwiegende Mehrheit dessen, was mit der Corona-Abwasserüberwachung zusammenhängt. Länder wie die Niederlande haben Abwasseranalysen – die auch die EU-Kommission schon länger anrät – bereits flächendeckend etabliert. „Wir gehen aber davon aus, dass in absehbarer Zeit auch alle Bundesländer in Deutschland so ein System einführen“, sagt Widera. „Die Basis dafür ist durch die Pilotprojekte geschaffen.“

Dr. Marek Widera vom Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikum Frankfurt war von Anfang an bei der Entwicklung des Abwassermonitorings dabei
Dr. Marek Widera

 

 

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