Neues Forschungsziel: Schutz gegen künftige Gefahren durch Coronaviren

In einem neuen LOEWE-Schwerpunkt CoroPan suchen Forschende aus Gießen, Marburg und Frankfurt die Schwachpunkte der Coronaviren als neue therapeutische Ansatzpunkte

In einem neuen LOEWE-Schwerpunkt (CoroPan) arbeiten Coronavirus-Forschende aus Gießen, Marburg und Frankfurt daran, neue therapeutische Ansatzpunkte gegen die zahlreichen bisher bekannten Coronaviren zu finden. Ziel ist es, damit besser auf große Krankheitsausbrüche durch unterschiedliche Coronaviren und ihre möglichen Begleit- und Folgeerkrankungen vorbereitet zu sein. Denn die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie gefährlich bestimmte Erreger diese großen Virusfamilie werden können und wie dringend man dann schnell verfügbare Medikamente braucht.

Die Pandemie hat gezeigt, wie wertvoll ein Forschungsvorsprung ist

Als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im März 2020 die Pandemie mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 ausrief, hat die Medizin von den wissenschaftlichen Erkenntnissen profitiert, die Forschende schon in den Jahren und Jahrzehnten zuvor zu einigen anderen, bereits früher bekannten Coronaviren gesammelt hatten. Einige gegen COVID-19 wirksame Medikamente, wie Paxlovid, konnten nur deshalb so schnell entwickelt werden, weil weltweit mehrere Arbeitsgruppen bereits seit langem die Familie der Coronaviridae grundlegend untersucht hatten. Auch die RNA-Impfstoffe waren nur so zügig marktreif, weil bereits jede Menge wissenschaftlicher Vorarbeit geleistet worden war.

Das Bundesland Hessen verfügt an den Universitätsstandorten in Gießen und Marburg traditionell über eine große Expertise in der Coronavirus-Forschung. Unmittelbar nach Beginn der Pandemie wurde dieses Fachwissen mit dem am virologischen Institut der Universitätsmedizin Frankfurt angesiedelten Schwerpunkt auf den Gebieten der klinischen Virologie und Virusdiagnostik im Pandemie Netzwerk Hessen zusammengeführt. „So konnten wir in der akuten Notsituation sehr schnell wichtige Impulse für den Umgang mit der Pandemie beisteuern“, verdeutlicht Professor Dr. John Ziebuhr, Leiter des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Gießen und Mitglied der Steuerungsgruppe des Pandemie Netzwerks Hessen.

CoroPan vergleicht alle bekannten Cronaviren, um die Virenfamilie besser zu verstehen

Im nächsten Schritt soll nun die langfristige Forschung zu Coronaviren intensiviert werden, um sich schon jetzt gegen künftige Gefahren durch diese Virenfamilie zu rüsten. Dazu fördert das Land Hessen die gezielte Zusammenarbeit der Coronaforschenden an den drei Universitäten in einem neuen LOEWE-Schwerpunkt: CoroPan. „Coronaviren gehören zur großen Gruppe der RNA-Viren, die dafür prädestiniert sind, aus ihren unterschiedlichen Wirten in Tieren auf den Menschen überzuspringen und dadurch gefährliche Pandemien auszulösen“, erklärt Ziebuhr, der das CoroPan-Schwerpunktprogramm wissenschaftlich koordiniert. „Wir müssen deshalb darauf hinarbeiten, Therapeutika zu entwickeln, die eine sehr breite Wirksamkeit gegen alle Coronaviren besitzen, um schwere Infektionsverläufe durch bereits bekannte oder auch neu auftauchende Coronaviren umgehend effektiv behandeln zu können.“

Im CoroPan-Schwerpunkt analysieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Mitglieder der Coronaviren-Familie ganz genau auf molekularer Ebene. Sie suchen dabei nach konservierten Stellen im Bauplan der Viren oder nach speziellen Mechanismen, die alle Coronaviren gleichermaßen nutzen, um sich vermehren und ausbreiten zu können. Diese konservierten Merkmale sind in unterschiedlichen Vertretern dieser Virusfamilie nahezu identisch und sie verändern sich nur extrem selten durch Mutationen. „Konservierte Stellen sind höchstwahrscheinlich unerlässlich für das langfristige Überleben der Viren“, erklärt Ziebuhr. „Ein Erreger, der dort durch Zufall eine Mutation erleidet, büßt einen Teil seiner Vermehrungs- und Ausbreitungsgeschwindigkeit ein, kann sich deshalb gegenüber anderen Virusvarianten nicht durchsetzen und hat langfristig keine Überlebenschance.“

CoroPan soll die Schwachpunkte der Coronaviren aufdecken

Die konservierten Stellen sind die Schwachstellen der Viren und damit ideale Ansatzpunkte für mögliche neue Medikamente. Es reicht jedoch fast nie aus, virusbedingte Infektionen nur mit einem einzigen Medikament zu behandeln, um sie gut zu beherrschen, da RNA-Viren relativ rasch Resistenzen entwickeln. Das ist auch bereits bei SARS-CoV-2 bei einigen Antikörper-Präparaten passiert. „Der sicherste Behandlungsweg gegen Virenerkrankungen besteht immer in einer Kombinationstherapie mit mehreren Wirkstoffen“, berichtet Ziebuhr. „Außerdem muss man immer wieder neue Wirkstoffe entwickeln, um das verfügbare Arsenal auffüllen und ergänzen zu können, sobald ein Mittel wegen aufgetretener Resistenzen seine Wirksamkeit ganz oder teilweise verliert.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nun systematisch nach Schwachstellen der Coronaviren suchen. Sie möchten zudem besser verstehen, wie sich Mutationen an bestimmten Stellen der Virus-RNA auf Ausbreitung und Verlauf coronabedingter Erkrankungen auswirken. Dazu legen sie unter anderem eine Biobank verschiedener humaner und tierischer Coronaviren und ihrer zahlreichen Varianten an, die genetisch umfassend charakterisiert sind. Dies ermöglicht den schnellen Zugriff für vergleichende Studien dieser Viren durch alle Projektbeteiligten.

Herausfinden, wie Coronaviren ihre Wirtszellen manipulieren

Ein weiteres zentrales Projekt in CoroPan besteht darin, die Gesamtheit der Eiweiße in Zellen anzuschauen, die mit einem bestimmten Coronavirus infiziert sind: also eine Proteomanalyse. Die Eiweißzusammensetzung in virusinfizierten Wirtszellen verändert sich zum Beispiel dahingehend, dass massenhaft Proteine produziert werden, die für die Vermehrung des viralen Genoms und die Bildung neuer Viruspartikel erforderlich sind. Viren manipulieren ihre Wirtszellen in vielfältiger Weise, beispielsweise auch um sicherzustellen, dass zelluläre Proteine, die wichtige Verteidigungsprogramme gegen das eingedrungene Virus steuern, nicht mehr produziert werden können oder ihre Funktion verlieren. Proteomanalysen können viel dazu betragen, grundsätzlich zu verstehen, was Viren im Körper ihres Wirts bewirken. Aus diesem Wissen lassen sich ebenfalls Rückschlüsse auf mögliche Therapieansätze ziehen.

Das Besondere am CoroPan-Projekt ist die vergleichende Erforschung verschiedenster Coronaviren in einem integrativen Ansatz. „Traditionell konzentriert sich in der wissenschaftlichen Welt eine Arbeitsgruppe meist nur auf einen einzigen speziellen Erreger“, erklärt Ziebuhr. „Doch bei pandemiegefährlichen Viren, die immer wieder neue Varianten hervorbringen können, ist es besonders wichtig, einen Gesamtüberblick zu haben, um mögliche Konsequenzen bestimmter Veränderungen besser beurteilen zu können und langfristig tragfähige therapeutische Konzepte entwickeln zu können.“

Schneller erkennen, welche Veränderungen an Coronaviren kritisch sind

Zu den Coronaviren zählen viele Arten, die momentan nur in bestimmten Tieren verbreitet sind, jedoch grundsätzlich auch auf andere Tiere oder den Menschen überspringen können. Diese sogenannten zoonotischen Viren nutzen dabei zufällig entstandene Mutationen in ihrem Genom, die es ihnen ermöglichen, ihr Wirtsspektrum zu ändern oder zu erweitern. Dazu zählt beispielsweise das 2012 aufgetauchte MERS-Coronavirus, dessen Vorläufer sich zunächst in Fledermäusen entwickelt hat und sich später durch weitere genetische Änderungen in Dromedaren ausgebreitet hat. Es kann aber auch bei Menschen Atemwegsinfektionen auslösen.

Mehrere andere Arten von Coronaviren sind schon lange bei Menschen endemisch, verursachen aber überwiegend harmlose Erkältungskrankheiten. „Das Problem liegt darin, dass wir bislang zu wenig über die zahlreichen Vertreter dieser Virusfamilie wissen, um schnell und sicher einschätzen zu können, welche Konsequenzen bestimmte Mutationen oder gar größere genetische Veränderungen an bestimmten Stellen des Erbguts haben könnten“, sagt Ziebuhr. „Dabei hat uns die SARS-CoV-2-Pandemie gelehrt, dass manchmal schon wenige Veränderungen reichen, um den Erreger sehr viel ansteckender zu machen, wie bei Omikron geschehen.“ Andere Mutationen könnten dazu beitragen, dass die Erkrankungen schwerer verlaufen oder dass das Virus eine bereits bestehende Immunität leichter umgehen kann. Wieder andere Mutationen könnten die Viren aber auch harmloser machen.

Zwei Eigenschaften machen Pandemien durch Coronaviren so wahrscheinlich

Die Fähigkeit, sehr leicht zwischen verschiedenen Wirten im Tierreich zu wechseln, ist eine der Eigenschaften, die das Risiko für Pandemien beim Menschen deutlich erhöht. Denn sie führt dazu, dass es unmöglich ist, diese Virusfamilie auszumerzen. Einzelne Vertreter können sich immer wieder in Tiere zurückziehen, sich dort durch Mutationen neu anpassen und wieder auf Menschen überspringen. Wenn in großen Teilen der Bevölkerung, insbesondere auch bei den älteren Menschen, kein ausreichender Immunschutz gegen solch ein Virus vorhanden ist, kommt es zur Pandemie. Das bedeutet eine massenhafte, weltweite Ausbreitung des Erregers in kürzester Zeit und in allen Altersgruppen, die zu erheblichen medizinischen, gesundheitspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen führen kann.

Eine weitere Eigenschaft, die Viren besonders pandemiegefährlich macht, ist ein RNA-Erbgut – wie es die Coronaviren haben. Grundsätzlich können sich Viren nicht ohne Hilfe eines geeigneten Wirtsorganismus vermehren. Sie nutzen und/oder manipulieren dessen zelluläre Funktionen und Strukturen, um neue Viren zu produzieren. Viren mit einem Erbgut aus DNA erwerben während ihrer Vermehrung relativ wenige Mutationen, weil die beteiligten Enzyme, sogenannte DNA-Polymerasen, nur sehr wenige Fehler beim Kopieren und Vervielfältigen der Genom-DNA machen, die zu Mutationen im Erbgut führen würden. Durch diese hohe Kopiergenauigkeit sinkt das Risiko der Entstehung von Virus-Varianten mit neuen Eigenschaften, die es ihnen beispielsweise erlauben würden, andere Organe oder Wirte zu infizieren und so sich das Krankheitsspektrum und die Ausbreitung in bestimmten Wirten grundsätzlich zu ändern. Bei DNA-Viren besteht deshalb tendenziell eine geringere Gefahr, dass sie zur Ursache weltweiter Pandemien werden, wenngleich es in der Vergangenheit auch einige wenige Beispiele für große Ausbrüche gibt, die durch DNA-Viren ausgelöst wurden, etwa die großen Pockenepidemien.

Wie schnell Coronaviren einen Vorteil erlangen, mussten wir in der Pandemie erleben

Bei RNA-Viren, wie etwa den Coronaviren, ist die Situation etwas anders. Diese Viren nutzen eine RNA-Polymerase für die Vervielfältigung ihres Genoms. Sie arbeitet jedoch deutlich ungenauer, wodurch die neu gebildeten Genome viele Fehler, also Mutationen, enthalten. Die meisten dieser zufällig entstandenen Mutationen behindern die Virusvermehrung und -ausbreitung. Es entstehen jedoch gelegentlich auch Mutationen, die für das Virus vorteilhaft sein können. Beispielsweise, weil sich das Virus noch schneller vermehren kann, sich leichter ausbreiten kann oder weniger effektiv vom Immunsystem erkannt und bekämpft werden kann. Solche Virusvarianten erwerben einen Vorteil und bilden innerhalb kurzer Zeit die Mehrheit der zirkulierenden Viren – genauso, wie wir das im Lauf der Corona-Pandemie mit dem Aufkommen neuer Varianten mehrfach erlebt haben.

Kombinationstherapien sind wichtig, um Coronaviren unter Kontrolle zu bekommen

Diese schnelle Weiterentwicklung – die hohe Evolutionsgeschwindigkeit – von RNA-Viren bringt weitere Risiken mit sich. „Insbesondere verringert diese Eigenschaft unsere Chancen, Medikamente zu entwickeln, die für längere Zeit zuverlässig wirksam bleiben und dem Virus wenig Raum lassen, resistente Varianten hervorzubringen“, sagt Ziebuhr. Ein wichtiger Baustein der Lösung wird sein, wie schon erwähnt, mehrere antivirale Wirkstoffe kombiniert zu verabreichen. Sie treffen das Virus dann an mehreren Stellen gleichzeitig, was die therapeutische Wirksamkeit erhöht und auch das Risiko der Entstehung resistenter Virusvarianten um mehrere Größenordnungen verringert.

CoroPan baut auf dem Pandemie Netzwerk Hessen auf

Im neuen CoroPan-Schwerpunkt geht es vor allem darum,  die wissenschaftlichen Grundlagen für die Entwicklung  von Medikamenten zu legen, die gegen eine Vielzahl unterschiedlicher Coronaviren wirksam sind. Wir benötigen solche Medikamente für die Zukunft, um Menschen besser vor Coronavirusinfektionen schützen zu können. Zu schützen gilt es insbesondere auch diejenigen, die beispielsweise wegen anderer Erkrankungen keinen guten Immunschutz gegen diese Viren und ihre zahlreichen Varianten aufbauen können und deshalb besonders gefährdet sind. „Im Pandemie Netzwerk Hessen haben wir ein schlagkräftiges Forschungsnetzwerk geschaffen“, erklärt Ziebuhr, „auf dem wir aufbauen können und dessen geballte Kompetenz wir für eine noch bessere Bekämpfung der Folgen möglicher zukünftiger Pandemien nutzen werden.“

Prof. Dr. John Ziebuhr forscht im Pandemie Netzwerk Hessen an Therapien gegen COVID-19
Prof. John Ziebuhr
© Rolf K. Wegst

 

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