„Wir lernen auch schon für Pandemien nach Corona“

Prof. Dr. John Ziebuhr forscht im Pandemie Netzwerk Hessen an Therapien gegen COVID-19

Was stoppt die Vermehrung von SARS-CoV-2 und liefert so Angriffspunkte für neue Behandlungen? Das Team um Professor John Ziebuhr hat mehrere Ziele ausgemacht.

Herr Prof. Ziebuhr, nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie existieren erste Medikamente gegen schwere Covid-19-Erkrankungen. Braucht es jetzt noch mehr Grundlagenforschung für weitere Therapieansätze?

Unbedingt. Viren haben – ähnlich wie Bakterien – die Fähigkeit, gegen ursprünglich hochwirksame Medikamente relativ schnell resistent zu werden. Das Medikament wirkt dann nicht mehr. Das liegt daran, dass sich Viren genetisch recht leicht verändern können – sie mutieren. Nun sind Coronaviren nicht diejenigen Viren mit der höchsten Mutationsrate. Aber auch Coronaviren passen sich an, und es entstehen dabei auch Varianten, denen ein bestimmtes Medikament nichts mehr anhaben kann. Mehr noch: Aus den Erfahrungen mit anderen Viruserkrankungen weiß die Medizin, dass man häufig mehrere Medikamente gleichzeitig einsetzen muss, um langfristig Infektionen wirksam bekämpfen zu können.

Diese Medikamente greifen in der Regel an verschiedenen Stellen des Virus an und verringern auf diese Weise das Risiko einer schnellen Entwicklung therapieresistenter Virusvarianten. In der Therapie von chronischen Virusinfektionen werden in der Regel zwei oder drei Präparate in Kombination eingesetzt, so zum Beispiel bei der HIV-Infektion oder der Hepatitis C. Es ist deshalb wichtig, umfassende Kenntnisse darüber zu gewinnen, an welchen unterschiedlichen Stellen das Coronavirus SARS-CoV-2 verwundbar ist, so dass man seine Vermehrung nach einer stattgefundenen Infektion zuverlässig stoppen kann.

„Bei antiviralen Therapieansätzen kommt es immer darauf an, etwas zu finden, ohne dass die Viren nicht leben können“

Sie suchen im Pandemienetzwerk nach lohnenden Zielpunkten für mögliche Therapieansätze. Was macht einen Angriffspunkt aussichtsreich? 

Bei antiviralen Therapieansätzen kommt es immer darauf an, etwas zu finden, ohne dass die Viren nicht leben können – etwas, das essenziell für sie ist. Beispielsweise, indem man ein Molekül im Virus ausschaltet, das es zwingend braucht, um sich zu vermehren. Das allein reicht aber nicht. Es geht darum, einen essentiellen Angriffspunkt zu finden, der zugleich sehr stark evolutionär konserviert ist; also einen, an dem keine oder so gut wie keine Mutationen stattfinden. Nur dann ist das Risiko für Resistenzen, über die wir ja eben schon sprachen, gering.

Ihr Team hat einen Angriffspunkt entdeckt, der den Kriterien entspricht.

Ja, wir haben eine mögliche Zielstruktur für neue antivirale Therapieansätze bei COVID-19-Erkrankungen identifiziert1). Es handelt sich um ein bestimmtes Protein, ein Enzym, welches das Coronavirus unbedingt braucht, um sich in den Zellen seines Wirts zu vermehren. Genauer gesagt ist das Enzym eine RNA-Polymerase. Sie sorgt dafür, das Erbmaterial des Coronavirus, das ja aus RNA besteht, massenhaft zu vervielfältigen.

Wenn man an dieser Struktur angreift, trifft man ausschließlich Nodoviren – und damit Coronaviren

Was ist das Besondere daran?

Wir haben in diesem Enzym einen Bereich gefunden, der ausschließlich bei der großen Gruppe der sogenannten Nidoviren existiert, zu denen auch die Coronaviren gehören. Das heißt: Wenn man an dieser Struktur angreift, trifft man ausschließlich solche Viren. Die Wirtszellen nehmen keinen Schaden, weil diese Struktur in ihnen nicht in ähnlicher Weise vorkommt. Zugleich ist es uns gelungen, nachzuweisen, dass diese Struktur tatsächlich essenziell für die Vermehrung von Coronaviren ist. Außerdem haben wir belegt, dass es außerdem evolutionär in nahezu identischer Weise konserviert ist. Das waren ganz neue und wichtige Erkenntnisse, die in der Fachzeitschrift PNAS1) veröffentlicht wurden. Inzwischen arbeiten wir daran, noch genauer zu verstehen, warum dieser Enzymbereich für diese Viren so lebenswichtig ist.

Das ist aber nicht die einzige Strategie, die Sie und Ihr Team gegen Coronaviren verfolgen?

Grundsätzlich schauen wir uns als Grundlagenforscher alles sehr genau an, was die Fähigkeit von Coronaviren, sich zu vermehren, beeinflussen kann. Wissenschaftliche Arbeiten über Coronaviren, die bei sowohl beim Menschen als auch bei einigen Nutz- und Haustieren Erkrankungen verursachen, haben an den Universitäten Gießen und Marburg eine lange Tradition. Wir haben uns damit bereits lange vor SARS-CoV-2 und der aktuellen Corona-Pandemie beschäftigt. Darum konnten wir auch auf den neuen Erreger schnell reagieren und seine Besonderheiten gegenüber den bereits länger bekannten Coronaviren abgrenzen. Ein Beispiel für ein weiteres Zielmolekül, das wir näher untersuchen, ist das Erbmaterial des Virus, seine RNA.

Was untersuchen Sie dabei?

Wir sind hier an Forschungen mit Prof. Bindereifs Arbeitsgruppe beteiligt, die belegen, dass es grundsätzlich möglich ist, die RNA des Coronavirus durch eine andere, gezielt eingeschleuste „zirkuläre RNA“ zu blockieren2). Diese im Labor erzeugte kleine RNA bindet hochspezifisch an einen bestimmten Bereich des Erbguts des Virus. Dieser Bereich der Virus-RNA kann dadurch seine verschiedenen Funktionen im viralen Vermehrungszyklus nicht mehr erfüllen. Als Folge vermehrt sich der Erreger viel schlechter. Zwei weitere Projekte3) 4) verfolgen einen anderen Ansatz: Statt Zielstrukturen im Virus selbst zu nutzen, suchen wir dabei nach geeigneten Wirkstoffen, die Viren auf eine eher indirekte Weise hemmen können: indem sie nämlich zelluläre Funktionen in den infizierten Zellen hemmen, die das Virus benötigt, um sich effektiv vermehren zu können. Dabei prüfen wir momentan zwei Naturstoffe, die bereits in der Krebsforschung eine Rolle gespielt haben.

Was wollen Sie mit diesen verschiedenen Ansätzen erreichen?

Im Pandemienetzwerk Hessen sind Forscher:innen beteiligt, die die molekularen Grundlagen von SARS-CoV-2-Infektionen aufklären. Es geht darum, verbesserte Möglichkeiten für die Therapie oder Prophylaxe von COVID-19-Infektionen zu erarbeiten. Wir denken dabei aber auch an die Zukunft und wollen Erfahrungen aus der gegenwärtigen Pandemie nutzen, um geeignete Konzepte zu entwickeln, die uns helfen werden, zukünftige Ausbrüche mit ähnlichen Viren noch besser bekämpfen zu können.

In einem der Projekte zu solchen breit wirksamen Virus-Hemmstoffen geht es um Thapsigargin4). Dieses fachübergreifende Projekt zeigt examplarisch, wie wir hier im Pandemienetzwerk die Expertisen unterschiedlicher Fachrichtungen zusammenschließen, um unsere Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung möglichst rasch für weiterführende Schritte in der Entwicklung antiviraler Medikamente nutzbar machen können.

„Das Netzwerk bietet ausgezeichnete Perspektiven, um Therapieansätze schnell weiterzuentwickeln“

Wie läuft das ab?

Zum Beispiel haben wir Virologen für die grundlegenden Experimente mit Pharmakologen um Prof. Michael Kracht zusammengearbeitet. Diese „In-vitro-Forschung“ – also Forschung im Reagenzglas – ist immer der erste notwendige Schritt. Danach müssen die Erkenntnisse in guten Zellkultursystemen überprüft und ausgeweitet werden, die der natürlichen Situation im Patienten, also zum Beispiel den Atemwegen und der Lunge, möglichst nahe kommen. Meine Arbeitsgruppe nutzt hierfür beispielweise primäre Zellen des Bronchialgewebes.

Andere Gruppen im Netzwerk, so zum Beispiel die Arbeitsgruppe von Professorin Susanne Herold, verfügt über Zellkulturmodelle, mit denen sich die Bedingungen des Lungengewebes – in dem eine COVID-19-Erkrankung sich bei schweren Verläufen ja vor allem abspielt – nachstellen lassen. Professor Stephan Becker in Marburg and Professorin Susanne Herold in Gießen verfügen außerdem über geeignete Tiermodelle, mit denen man die Wirkung and Verträglichkeit antiviraler Substanzen überprüfen kann. Wenn diese Studien erfolgreich verlaufen, können wir in diesem Verbund sogar noch den nächsten Schritt gehen, da es im Netzwerk eine umfangreiche Expertise zur Durchführung klinischer Studien gibt. So weit sind wir bei Thapsigargin gegen Coronaviren derzeit zwar nicht, aber das Netzwerk kann uns ausgezeichnete Perspektiven bieten, aussichtsreiche antivirale Therapieansätze schnell weiterzuentwickeln.

Prof. Dr. John Ziebuhr ist Leiter des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Gießen und Mitglied der Steuerungsgruppe des Pandemie-Netzwerks Hessen.

 

Hier zitierte Forschungsarbeiten:

1) Slanina H, Madhugiri R, Bylapudi G, Schultheiß K, Karl N, Gulyaeva A, Gorbalenya A, Linne U, Ziebuhr J. Coronavirus replication–transcription complex: Vital and selective NMPylation of a conserved site in nsp9 by the NiRAN-RdRp subunit. PNAS Feb 2021, 118 (6);
doi: 10.1073/pnas.2022310118

2) Pfafenrot C, Schneider T, Müller C, Hung LH, Schreiner S, Ziebuhr J,Bindereif A. Inhibition of SARS-CoV-2 coronavirus proliferation by designer antisense-circRNAs. Nucleic Acids Res. 2021 Dec 2;49(21):12502-12516. doi: 10.1093/nar/gkab1096

3) Müller C, Obermann W, Karl N, Wendel HG, Taroncher-Oldenburg G, Pleschka S, Hartmann RK, Grünweller A, Ziebuhr J. The rocaglate CR-31-B (-) inhibits SARS-CoV-2 replication at non-cytotoxic, low nanomolar concentrations in vitro and ex vivo. Antiviral Res. 2021 Feb;186:105012. doi: 10.1016/j.antiviral.2021.105012

4) Shaban MS, Müller C, Mayr-Buro C, Weiser H, Meier-Soelch J, Albert BV, Weber A, Linne U, Hain T, Babayev I, Karl N, Hofmann N, Becker S, Herold S, Schmitz ML, Ziebuhr J, Kracht M. Multi-level inhibition of coronavirus replication by chemical ER stress. Nat Commun. 2021 Sep 20;12(1):5536. doi: 10.1038/s41467-021-25551-1

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