„Mit gebündelter Kompetenz schneller und stärker gegen Viren“

Prof. Dr. Stephan Becker ist Sprecher der Steuerungsgruppe im Pandemie Netzwerk Hessen

Was macht das Pandemie Netzwerk Hessen aus? Was leistet es über Pandemie hinaus? Ein Gespräch mit Professor Stephan Becker, Sprecher der Steuerungsgruppe.

Herr Prof. Becker, die drei Universitäten im Pandemie Netzwerk Hessen beschäftigen sich schon lange mit Viren, die möglicherweise Pandemien auslösen. Warum haben Sie sich während der Corona-Pandemie in einem Netzwerk enger zusammengeschlossen?

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat unsere Arbeit stark beeinflusst und auch verändert. Gleich zu Beginn, als wir Forschende weltweit über das Virus kaum etwas wussten, war uns klar, dass wir unsere Kompetenzen an den drei Universitäten bündeln müssen. So konnten wir uns insgesamt stärken und unsere Arbeit schnell und mit konkreten Zielen auf die Pandemie ausrichten. Darum haben wir die bestehende Expertise, beispielsweise in der Epidemiologie oder der Diagnostik, zusammengeführt und uns sehr eng ausgetauscht, welche nächsten Schritte uns alle weiterbringen.

Haben Sie ein Beispiel?

In den ersten Tagen und Wochen, als sich SARS-CoV-2 verbreitete, ging es viel um Organisatorisches: etwa, wie stark die einzelnen Kliniken diagnostisch ausgelastet sind, welche Test möglich und sinnvoll sind oder wo wir Schutzausrüstung herbekommen. Das alles war anfangs überall in Deutschland problematisch. Daneben haben wir auch sofort begonnen, einen Test zu etablieren, mit dem das neue Coronavirus nachgewiesen werden konnte.

Außerdem ging es darum, zusammen Daten zu sammeln, um uns einen wissenschaftlich fundierten Überblick über das Pandemiegeschehen zu verschaffen. Das war wichtig für Hessen, wo wir ja im Austausch mit der Politik standen. Und es war allgemein wichtig, sehr schnell mehr über das Virus und die Pandemie zu erfahren. Darum haben wir beispielsweise sehr früh 1000 Mitarbeitende eines großen Unternehmens auf Corona untersucht, um herauszufinden, wie groß die Dunkelziffer ist – wie viele Menschen also mit Corona infiziert sind, ohne es zu wissen. Angesichts der Herausforderungen, die auf die hessischen Universitätskliniken zukamen, war auch schnell klar, dass die Landesregierung die Corona-Forschung unterstützen wird. So entstand offiziell das Pandemie Netzwerk. Geförderte Projekte finden sich hier auf der Website.

„Wir möchten in Zukunft für viele verschiedene Coronaviren herausfinden, was sie mit ihren Wirtszellen machen“

Welche längerfristigen Vorteile hat der Zusammenschluss als Netzwerk?

Mit unserer gebündelten Kompetenz sind wir alle noch viel tiefer in die grundlegenden Wissenschaftsfragen eingestiegen, die uns schon vor Corona beschäftigt haben. Wir hier in Marburg forschen schon lange an Viren, die plötzlich auftauchen und dann womöglich einer großen Gruppe von Menschen gefährlich werden können. Beispiele sind unter anderem das MERS-Coronavirus, das Ebolavirus oder das Marburg-Virus. Dafür gibt es hier ein spezielles Laborgebäude in dem mit diesen hochgefährlichen Viren gearbeitet werden kann. Es ist deshalb unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass unsere Gesellschaft besser auf solche Ausbrüche vorbereitet ist.

Diese Arbeit hat jetzt ein noch größeres Gewicht erhalten. Das Pandemie Netzwerk Hessen ermöglichte uns gerade in den ersten Monaten der Pandemie diagnostische Kapazitäten aufzubauen, um die Flut der Proben von Patienten zu bewältigen. Außerdem ermöglichte es konkrete Forschungsprogramme, etwa zur Wirkungsweise von Corona-Impfstoffen bei älteren Personen zu etablieren. Wir möchten in Zukunft für viele verschiedene Coronaviren herausfinden, was sie mit ihren Wirtszellen machen. Alles im Hinblick auf mögliche kommende Viren, auf die wir dann hoffentlich noch schneller angemessen reagieren können; sei es mit Impfstoffen oder antiviralen Therapien.

Welche Ziele hat das Netzwerk im Blick?

Im Lauf der Corona-Pandemie hat das Pandemie Netzwerk Hessen schon viele Beiträge geleistet, sei es in der Grundlagenforschung, der klinischen Forschung oder in der Patientenversorgung. Dabei hat sich herausgestellt, dass durch die intensive Zusammenarbeit in einem Netzwerk besonders an den Universitätskliniken eine Art Kern entsteht, um den herum sehr schnell neue, wichtige Projekte wachsen. Diese Kraft möchten wir erhalten. Darum streben wir an, das Netzwerk über die aktuelle Förderphase – bis Ende 2022 – hinaus bestehen zu lassen. Forschung finanziert sich stets aus verschiedenen Mitteln. Perspektivisch hoffen wir, passende Möglichkeiten zu finden.

Das Netzwerk ermöglicht es, eine Mammutaufgabe wie die Forschung zu Post-COVID anzugehen

Wie sieht so ein Forschungsschub konkret aus?

An den hessischen Universitätskliniken werden inzwischen viele Patient/innen behandelt, die nach einer akuten Coronavirusinfektion noch an langwierigen Folgen zu leiden haben. Dafür werden spezielle Ambulanzen benötigt, die gezielt dieses Post-COVID-Syndrom untersuchen und behandeln. Solche Ambulanzen brauchen wir, um den Betroffenen der Corona-Pandemie in Hessen zu helfen. Dabei kommt der Infektiologie, der Lungenheilkunde und der Neurologie eine besondere Rolle zu, aber auch andere Fachdisziplinen müssen hier zur Behandlung hinzugezogen werden.

Durch den Austausch im Netzwerk hat sich gezeigt, dass zu Post-COVID und Long-COVID ein enormer Forschungsbedarf besteht. Zugleich ermöglicht es das Netzwerk überhaupt erst, so eine Mammutaufgabe anzugehen, in dem es die Voraussetzungen schafft – in diesem Fall eben Ambulanzen mit Patient/innen in denen Expertinnen und Experten verschiedener ärztlicher Fachgebiete eng zusammenarbeiten und forschen. In der Pandemie musste die Medizin ja feststellen, dass etwa die Erschöpfungszustände, die Menschen nach COVID-19 erleben, sehr komplex sein können. In der Post-COVID-Ambulanz können wir Patienten und Patientinnen auch wissenschaftlich begleiten.

Prof. Dr. Stephan Becker ist Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Marburg. Innerhalb des Pandemie Netzwerks Hessen ist er der Sprecher der Steuerungsgruppe.

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