Long-COVID: Was man über Hilfe für Kopf und Psyche weiß

Chronische Erschöpfung, eine Fatigue: Daran leiden viele Menschen mit Long-COVID

Die Corona-Infektion ist überstanden. Es bleiben unter anderem Konzentrationsstörungen, Müdigkeit oder Depressionen: Long-COVID. Wer ist gefährdet? Welche Therapien gibt es?

Manche Menschen, die eine COVID-19-Erkrankung durchgemacht haben, sind auch Wochen und Monate später nicht wieder gesund. Mediziner:innen sprechen von Long-COVID, wenn mindestens vier Wochen nach der Infektion noch Folgen zu spüren sind. Unter dem Begriff Post-COVID fassen sie Gesundheitsprobleme zusammen, die drei Monate oder länger nach der Corona-Infektion noch bestehen.

Betroffene von Long-COVID stoßen oft auf Unverständnis

An der Ambulanz der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt versorgt Dr. Juliane Müller Patientinnen und Patienten, die nach der Virus-Erkrankung unter Depressionen oder Ängsten leiden, die sich kaum mehr konzentrieren können, Merkprobleme haben oder chronisch müde sind und schnell erschöpft. Ihre Erfahrung: „Viele dieser Menschen sehen sich mit Unverständnis konfrontiert.“

Mögliche Gründe: Long-COVID und Post-COVID sind für die Medizin ganz neu und folglich kaum erforscht. „Die Ursachen sind noch recht unklar und vermutlich vielgestaltig“, erklärt die Oberärztin der Akutpsychiatrischen Aufnahmestation und Post-COVID Ambulanz. „Auch das Krankheitsbild ist individuell sehr unterschiedlich.“ Zudem weiß niemand genau, wie viele Menschen in Deutschland aktuell an Long-COVID oder Post-COVID leiden. Expert:innen nehmen an, dass mindestens zehn Prozent der Menschen Beeinträchtigungen durch Corona spüren, auch den der PCR-Test längst wieder negativ ist. Diese Schätzungen basieren auf Studien aus mehreren Ländern. Die Prozentzahlen schwanken, unter anderem weil bislang nicht in jeder Studie gleich definiert ist, was Long- oder Post-COVID für Symptome und Schweregrade der Beschwerden umfasst.

Noch sind die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion also schwer zu fassen. Darum reißt die Diskussion nicht ab, ob Betroffene ihre Beschwerden womöglich übertreiben. Frei nach dem Motto: Die Pandemie macht doch jedem irgendwie zu schaffen. Und wenn die Infektion vorbei ist, ist man automatisch genesen.

Über eine Ambulanz finden Long-COVID-Betroffene meist den Weg zu einer passenden Therapie

„So ist es aber nicht“, betont Juliane Müller. Unter anderem hat jüngst das Robert Koch-Institut (RKI) den gegenwärtigen Kenntnisstand zu den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion zusammengefasst. Die Patientinnen und Patienten in der Sprechstunde der Psychiaterin „haben meist schon einen langen Weg hinter sich. Ihre Corona-Infektion liegt bereits mehrere Monate zurück.“ Diese Post-COVID-Betroffenen empfinden es häufig als „entlastend, dass sie hier erstmals offen über ihre Beschwerden reden können“, berichtet Müller. Maximal 12 neue Post-Covid- Patienten pro Quartal kann die Ambulanz an der psychiatrischen Uniklinik in Frankfurt momentan annehmen. Zusammen mit weiteren Long- und Post-COVID-Ambulanzen in Hessen ist sie vor allem zuständig für eine differenzierte Diagnose sogenannter neuro-psychiatrischer Corona-Folgen.

Die Behandlung erfolgt dann häufig anderswo. In der Ambulanz klären die Ärzt:innen Fragen wie die folgenden: Stehen die psychischen Beschwerden wirklich mit Corona im Zusammenhang? Bestand schon vor der Infektion eine psychische Erkrankung? Oder haben die Symptome womöglich eine ganz andere Ursache? Eine exakte Diagnose ist wichtig, um die richtige Therapie empfehlen zu können.

Für Long-Covid und Post-Covid existieren seit einigen Monaten Behandlungsleitlinien. Die Therapiewege orientieren sich an den Symptomen, da die Ursachen der neuen Erkrankungen noch unerforscht sind.

Neurologische und psychische Symptome von Long-COVID, wie Nebel im Kopf oder Erschöpfung

Allein den psychiatrischen Bereich fallen mehrere unterschiedliche Krankheitsbilder mit unterschiedlichen Symptomen.

  • Typische kognitive Beeinträchtigungen nach einer Covid-19-Erkrankung sind zum Beispiel: Brain-Fog, ein Gefühl von Nebel oder Watte im Kopf, das es einem unmöglich macht, klar zu denken und sich zu fokussieren; starke Konzentrationsprobleme, Aufmerksamkeitsstörungen und schnelle Ablenkbarkeit; Merkprobleme.
    Als Therapie kommt dann eventuell eine spezielle Ergotherapie zum Gedächtnistraining in Frage. „Es erfordert meist Wochen oder Monate intensiven Trainings“, berichtet Oberärztin Juliane Müller. „Aber es ist erfolgversprechend.“
  • Zu den affektiven Störungen gehören Depressionen und Angst oder auch Niedergeschlagenheit, Freud- und Interesselosigkeit. Solche Erkrankungen lassen sich mit Medikamenten und/oder einer Psychotherapie behandeln.
  • Belastungsintoleranz ist eine weitere häufige Coronafolge, die einer neurologischen und psychiatrischen Abklärung bedarf. Betroffene leiden beispielsweise an Fatigue, das sind Erschöpfungszustände weit jenseits einer normalen Müdigkeit. Sie können auch schlagartig und bereits bei kleinsten Belastungen einsetzen. Andere Patient:innen schaffen es gar nicht erst, aus dem Bett aufzustehen. Auch hier kann eine Psychotherapie eine Unterstützung bieten. „Gerade bei solchen Beschwerden haben es Betroffene schwer, anderen Menschen zu vermitteln, wie schlecht es ihnen wirklich geht“, berichtet Müller.

Selbsthilfegruppen sind da womöglich eine wichtige Option für Menschen mit Long-COVID und Post-COVID. In einem Umfeld, in dem es an Erfahrungswerten und oft am Verständnis der umgebenden Menschen fehlt, kann der Austausch mit anderen Betroffenen wahrscheinlich entlasten und ermutigen. „Allerdings stehen wir hier in Hessen damit noch ziemlich am Anfang“, sagt Müller. Einen bundesweiten Überblick über die Corona-Selbsthilfe bietet Nakos, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung
von Selbsthilfegruppen.

Häufig bestehen neben diesen neuropsychiatischen Beeinträchtigungen noch andere Beschwerden wie Kurzatmigkeit, Herzbeschwerden oder Riech- und Schmeckstörungen. „Das Corona-Virus kann ganz verschiedene Organe befallen, darunter auch das zentrale Nervensystem und somit auch das Gehirn“, erklärt Müller. „Diese Bandbreite macht es so schwer, die daraus resultierenden Erkrankungen genau zu sortieren und zu beschreiben.“

Die Ursachen von Long-COVID sind womöglich Entzündungen

Eine mögliche Erklärung für die Unterschiedlichkeit der Corona-Spätfolgen: Das Corona-Virus scheint überall im Körper Entzündungen an der Innenwand (Endothel) der kleinen Blutgefäße auslösen zu können. Das schädigt beispielsweise Lunge, Muskeln, Gehirn, Herz oder Nieren. Welches Organ am stärksten betroffen ist, scheint von individuellen Faktoren abhängig zu sein, die doch nicht im Detail erforscht sind. Darum kann am Ende bei einer Patientin das Herz stärker in Mitleidenschaft gezogen sein, während bei einem anderen Patienten die Konzentration stark nachlässt. Eine andere Ursachen-Hypothese bringt Post- und Long-COVID mit Autoimmunreaktionen – ausgelöst vom Corona-Virus -in Zusammenhang.

Noch lässt sich der wirkliche Grund für lang andauernde negative Corona-Nachwirkungen wegen der kurzen Forschungszeit nicht ausmachen. „Es ist aber wahrscheinlich, dass es sich um ein immunvermitteltes Phänomen handelt“, sagt Professor Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt. „Der menschliche Körper reagiert auf einen Erreger, in diesem Fall auf Corona.“ Von anderen Virus-Erkrankungen ist bereits bekannt, dass nach dem Abklingen der Infektion und der akuten Entzündungen psychiatrische Symptome auftreten können.

Wer ist besonders gefährdet für Long-COVID? Die Risikogruppen unterscheiden sich stark

Was die Situation der Betroffenen ebenfalls erschwert: Es gibt keine eindeutige Risikogruppe für Long- oder Post-COVID. Vielmehr haben es die Ärzt:innen gehäuft mit Erkrankten aus zwei scheinbar ganz unterschiedlichen Patientenkreisen zu tun:

  • Zum einen sind da Menschen, die sehr schwer an Covid-19 erkrankt waren. Sie verbrachten Wochen oder Monate im Krankenhaus, wurden beatmet oder waren sogar auf die Ecmo-Unterstützung angewiesen – jene Therapie, für die Patient:innen in ein sogenanntes künstliches Koma versetzt werden. Nach einer derart langen, zehrenden Krankheit und der anstrengenden Behandlung ist die geistige Leistungsfähigkeit bei vielen zunächst eingeschränkt und die Rückkehr in den Alltag mühsam.
  • Zum anderen sind von Post- oder Long-COVID auch auffällig viele jüngere Menschen betroffen, deren COVID-19-Erkrankung milde verlief. „Diese Menschen stehen mitten im Beruf und in der Familienphase“, beschreibt es Psychiaterin Juliane Müller. „Und auf einmal ist der Alltag und die Arbeit nicht mehr möglich.“ Manche diesee Patient:innen sind dann auch krankgeschrieben.

Corona-Impfung mindert das Risiko für Long-COVID – oder es bessert sich schneller

Im Prinzip können Corona-Spätfolgen jede und jeden treffen. Mittlerweile gilt es jedoch als sicher, dass ein vollständiger Impfschutz das Risiko vermindert. Außerdem erholen sich Geimpfte durchschnittlich um einige Wochen schneller von Long- und Post-COVID. Ihre Beschwerden sind auch oft weniger schlimm.

Wie lässt sich Patient:innen mit psychiatrischen und kognitiven Corona-Folgen möglichst gut helfen? Um der Antwort einen Schritt näher zu kommen, versuchen Wissenschaftler:innen um Andreas Reif, die Betroffenen möglichst früh zu entdecken. In einem Kooperationsprojekt mit der Inneren Klinik am Universitätsklinikum Frankfurt verfolgen sie die gesundheitliche Entwicklung von Patient:innen mit, die wegen COVID-19 in der Inneren Klinik behandelt wurden. „Es sind Patient:innen, deren Daten wir teilweise schon seit der ersten Coronawelle erfassen“, berichtet Reif. In der Reihenuntersuchung, einem Screening, überprüfen die Forschenden regelmäßig, ob diese Menschen neuropsychiatrische Probleme entwickeln. Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen, Aussagen lassen sich noch nicht treffen.

Als nächstes: Eine Post-COVID-Ambulanz über das Pandemie Netzwerk Hessen

Ein weiteres Projekt soll demnächst über das Pandemie Netzwerk Hessen starten. Dabei soll die Versorgung von Menschen mit Post-COVID-Störungen insgesamt am Klinikum Frankfurt noch strukturierter erfolgen. Zusammen mit den Psychiater:innen sind an diesem interdisziplinären Ansatz unter anderem Kardiologie, Infektiologie und Pneumologie beteiligt. Professorin Maria Vehreschild und Professor Gernot Rohde steuern das Projekt, das sich gerade in der Planung befindet. „Weil von Post-COVID mehrere Organsysteme betroffen sein können, ist es wichtig, dass sich alle Ärzt:innen, die in eine Behandlung einbezogen sind, gut abstimmen“, erklärt Reif.

Professor Andreas Reif ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt
Professor Andreas Reif
Dr. Juliane Müller ist Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt
Dr. Juliane Müller

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